Pressekonferenz, Ayleen, Gottenheim, Mordfall, Mord, Polizeipräsident, Franz Semling, © Philipp von Ditfurth - dpa

Mutmaßlicher Mörder von Ayleen aus Gottenheim saß zehn Jahre in Psychiatrie

Die Ermittler gehen davon aus, dass die 14-Jährige den 29-Jährigen im Internet kennengelernt haben dürfte.

Der tragische Tod der verschwundenen 14-jährigen Ayleen aus Gottenheim hat in den vergangenen Wochen die ganze Region bewegt. Polizei und Staatsanwaltschaft haben in einer gemeinsamen Pressekonferenz am Montag (01.08.2022) über ihren aktuellen Ermittlungsstand informiert und gehen inzwischen fest von einem Gewaltverbrechen aus.

Laut den Ermittlern hat die Jugendliche einen 29-jährigen Tatverdächtigen online kennengelernt. Wie viele Schüler in ihrem Alter, war auch Ayleen wohl in gleich mehreren sozialen Netzwerken und Messengerdiensten unterwegs. Auch im Bereich Online-Gaming war sie aktiv. Die Polizei geht davon aus, dass sie den 29-Jährigen unter anderem über das Computerspiel Fortnite kennengelernt haben dürfte.

Mord an 14-jähriger Ayleen aus Gottenheim - die komplette Pressekonferenz der Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft

Vieles deutet darauf hin, dass Aylenn ihren Heimatort zunächst noch lebend verlassen hat. Am Abend ihres Verschwindens (Donnerstag, 21.07.2022) soll sie von einer männlichen Person rund 300 Kilometer weit bis zum Teufelsee im Wetteraukreis nördlich von Frankfurt gefahren worden sein, glauben die Ermittler nach der Auswertung von Handydaten und einzelner Datenfragmente.

Zu diesem Zeitpunkt ließ sich die genaue Position ihres Smartphones schon nicht mehr orten. Ob sie in Gottenheim freiwillig ins Fahrzeug gestiegen ist oder möglicherweise Zwang oder andere Umstände eine Rolle gespielt haben könnten, lässt sich für die Ermittlungsgruppe noch nicht nachvollziehen.

An dem schwer zugänglichen See mitten in einem Naturschutzgebiet dürften die beiden sich, so Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer, scheinbar zunächst eine Weile lang aufgehalten haben. Dann muss alles ganz schnell gegangen sein:

Polizeipräsident glaubt nun, dass es keine Chance gab, Ayleen nach ihrem Verschwinden lebend zu finden

Am Freitag, den 29.07.2022 hat die Besatzung eines Polizeihubschraubers dann den Körper der Jugendlichen leblos am Uferrand auf dem Wasser treiben sehen. Zu diesem Zeitpunkt lag die Leiche schon so lange im Wasser, dass eine Identifizierung von Ayleen nicht ohne Weiteres möglich war und erst am Tag darauf durch einen rechtsmedizinischen Abgleich von DNA-Spuren und Zahnpositionen erfolgte. Die Kripo geht deshalb davon aus, dass Ayleen schon kurz nach ihrem Verschwinden zum Opfer eines Verbrechens wurde. Polizeipräsident Franz Semling betont dazu im baden.fm-Interview:

Die Bevölkerung, die Medien, die Blaulichtorganisationen, die Polizeien haben so lang alles gegeben, Ayleen gesund und lebend zu finden, solange wir glaubten, eine echte Chance zu haben. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass wir die von den Abläufen nie hatten, weil Ayleen wahrscheinlich schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt verstorben ist.

Über Hinweise von Internetprovidern sind die Einsatzkräfte auf der Suche nach Ayleen vergleichsweise schnell in Hessen gelandet. Dort hatte wohl ihr Smartphone noch versucht, sich in ein Funknetz einzuwählen, wurde aber aus unbekannten Gründen abgewiesen. Doch erst kurze Zeit später konnte dann über die Auswertung von Chatdaten ein konkreter Verdacht erhärtet werden, der in die Richtung des 29-jährigen Tatverdächtigen führte.

Im Zuge der Ermittlungsmaßnahmen hatten Spezialkräfte schließlich die Wohnung des Mannes in der Nähe des mittelhessischen Wetzlar durchsucht. Darin haben sie persönliche Gegenstände von Ayleen entdeckt. Die Ermittler haben dabei außerdem mehr als 10 Millionen digitale Spuren, mehrere passwortgeschützte Handys und weitere Beweismittel sichergestellt. Zum Zeitpunkt der Razzia war der Mann gerade nicht zuhause. Nach einer Ortung seines Fahrzeugs und einer verdeckten Beschattung hat die Polizei den 29-Jährigen am Freitag (29.07.2022) im Großraum Frankfurt festgenommen.

Verdächtiger kam 2007 für sexuellen Angriff auf 11-Jährige in Maßregelvollzug

Über seine Lebensverhältnisse gibt die Staatsanwaltschaft Freiburg zum Schutz von Persönlichkeitsrechten nur wenig bekannt und verweist auf die geltende Unschuldsvermutung bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung vor Gericht. Fest steht aber: Der Mann musste als Jugendlicher 2007 wegen eines versuchten Sexualdelikts an einem 11-jährigen Mädchen zehn Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus verbringen. Dazu hatte ihn ein Gericht wegen sexuellen Missbrauchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung verurteilt.

Nachdem er 2017 aus der Einrichtung entlassen wurde, nahm er an einem Überwachungsprogramm der hessischen Sicherheitsbehörden teil, das Sexualstraftätern davon abhalten soll, rückfällig zu werden. Dabei standen für ihn fünf Jahre lang regelmäßige Gefährderansprachen und Kontakte zu den Behörden auf dem Programm, bis er im Januar 2022 aus diesem Angebot ebenfalls ausschied.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Vorwurfs der Entziehung Minderjähriger, der sexuellen Nötigung und des Mordes zu Verdeckungsabsichten. Bei seiner Festnahme hatte er die Vorwürfe zunächst noch bestritten, nun in Untersuchungshaft macht er nach Angaben der Ermittler von seinem Recht zu schweigen Gebrauch.

Anonymität des Internets Gefahr und Chance zugleich

Der Fall hat nicht nur Gottenheim, sondern auch die ganze Region schwer erschüttert. In der Tuniberg-Gemeinde wurden zwei zentrale Gedenkorte an Ayleen am Rathaus und an der Kirche eingerichtet, wo Menschen mit Kerzen, Blumen und persönlichen Briefen ihre Anteilnahme ausdrücken.

Auch außerhalb des Ortes sind viele Eltern von Teenagern verunsichert und berichten uns davon, dass sie vorerst ihre Kinder vermehrt im Auge behalten wollen und mit dem Auto von der Schule abholen möchten. An die vielen Jugendlichen in Baden richtet Polizeipräsident Semling einen direkten Appell:

Seid bitte vorsichtig bei der Nutzung des Internets, gebt nicht zu viel von euch Preis. Und wenn ihr schon aus einem virtuellen Kontakt zum ersten Mal einen realen Kontakt macht, dann sorgt dafür, dass zumindest die beste Freundin oder der beste Freund dabei ist. Die können im Erstnfall ein Kennzeichen filmen, können eine WhatsApp verschicken, können dabei sein und dann glauben wir, dass schon allein dadurch die Risiken minimiert werden.

Ayleens Familie erhält nach Angaben der Einsatzkräfte umfassende Betreuung durch Notfallseelsorger und ein Kriseninterventionsteam. Gottenheims Bürgermeister Riesterer bittet darum, vor dem Haus keine Blumen und anderen Gesten der Trauer mehr zu platzieren und stattdessen auf die beiden zentralen Orte in der Gemeinde auszuweichen.

Die Polizei wird nun in den kommenden Wochen alle Hände voll zu tun haben, die weiteren riesigen Datenmengen wie Chatverläufe, Verbindungsprotokolle aus dem Onlinespiel oder die sichergestellten Datenträger aus der Wohnung des Verdächtigen weiter auszuwerten. Darüber, sowie über die weitere Befragung des Mannes hoffen sie, die vielen Unklarheiten in dem tödlichen Vermisstenfall am Ende doch noch aufklären zu können.

(fw/dk)