Seine Arme würden der heute 19-jährigen Maria auch weiterhin immer offen stehen, egal ob im Rahmen einer Beziehung oder als mögliche Adoptivtochter
Mit diesen Worten hat sich der Angeklagte Bernhard H. am Mittwoch (08.05.2019) beim im Freiburger Vermisstenfall Maria H. noch einmal an seine frühere Begleiterin gewandt.
Der heute 58-Jährige aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen muss sich unter anderem wegen Kindesentzugs und schweren sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen vor dem Landgericht in Freiburg verantworten. Rechnet man alle vorgeworfenen Einzel-Übergriffe zusammen soll es um mehr als 100 Einzelfälle gehen.
Nacktbilder über das Handy und regelmäßige Sex-Treffen in Freiburg
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mann spätenstens im Jahr 2011 mit der damals 13-jährigen Maria H. Kontakt über das Internet aufgenommen hatte, zunächst in einem harmlosen Chatportal, später auch privater über WhatsApp.
In der Anklage ist zunächst die Rede von Sexchats und dem Versenden von Nacktbildern, spätestens 2012 soll es dann auch immer wieder zu persönlichen Treffen in Freiburg und dort auch zu sexuellen Übergriffen in einem Hotel auf der Haid oder im Auto des Angeklagten gekommen sein.
Maria H. sitzt zusammen mit ihrer Mutter als Nebenklägerin im Gerichtssaal, betreut von Rechtsanwältin Claudia Meng und einer psychosozialen Prozessbegleiterin des Opferschutz-Vereins Wildwasser e.V.. Sie macht auf Zuschauer zunächst einen gefassten Eindruck.
Als dann jedoch H. mit einigen Minuten Stau-Verzögerung in Handschellen in den Gerichtssaalt geführt wird, ist auch ihr die Anspannung immer wieder anzusehen. Ihr mutmaßlicher Peiniger tritt vor den Kameras der bundesweiten Medienvertreter komplett eingehüllt in einem schwarzen Kapuzenpullover auf, das Gesicht versteckt er hinter einem Aktenordner mit einem Herz-Symbol-Aufkleber.
Auf emotionale Ausbrüche folgen vor Gericht sachliche und ausführliche Details
Mit dem Beginn der Gerichtsverhandlung zeigt sich H. von Anfang an auffällig kooperativ, möchte sowohl Angaben zu seiner Person als auch zu den Vorwürfen machen. Letzteres allerdings nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie sein Anwalt Stephan Althaus kurz darauf beantragt.
Richter Arne Wiemann verweist darauf, dass bei der Verlesung der Anklage das öffentliche Interesse mehr Gewicht habe als der Schutz der Intimsphäre des Angeklagten. Anders sieht das dann bei seiner späteren Aussage aus, wo es unter anderem um seine sexuellen Vorerfahrungen und Neigungen gehen sollte. Hier mussten Pressevertreter und Zuschauer am Mittag den Gerichtssaal verlassen, während drinnen hinter verschlossenen Türen weiterverhandelt wurde.
Während Bernhard H. auf die Nachfragen des Richters über sein bisherigen Leben berichtet, bricht er immer wieder in Tränen aus und beginnt zu schluchzen - nur um kurze Zeit später wieder mit kräftiger Stimme sehr offen und ausführlich Auskunft zu geben.
Von sich selbst zeichnet er dabei das Bild eines Mannes, der schon früh Erfahrungen mit familiärer Gewalt und Übergriffen durch einen Onkel machen musste und der wegen Mitgliedschaft seiner Mutter in einer christlich-amerikanischen Sekte lange von Gleichaltrigen gemieden wurde. Sein Vater habe sich das Leben genommen, als er 10 war. Sein Bruder ist 2012 bei einem Auslandseinsatz in Peru ums Leben gekommen - möglicherweise bei einem gezielten Gewaltverbrechen, wie H. vermutet, ohne dafür weitere Beweise nennen zu können.
Angeklagter berichtet von schwierigem Berufs- und Privatleben
Auch seine Jugend und seine jungen Erwachsenenjahre seien gezeichnet gewesen von abgebrochenen Ausbildungschancen, regelmäßigen Wohnortswechseln und einem Über-Wasser-Halten mit Hilfe von Gelegenheitsjobs. Spätestens in den 90er-Jahren kam dann mit einer Umschulung zum Informationselektroniker ein wenig Stabilität in sein Leben. Es folgte eine vorübergehende politische Karriere bei den Republikanern, die H. sogar zeitweise bis in den Landesvorstand brachte.
Im privaten Bereich bahnten sich früh Eheprobleme mit seiner sieben Jahre jüngeren Frau an, die er erstmals kennengelernt hatte, als sie noch ein 13-jähriges Mädchen war. Als die Beziehung dann zwischen 2007 und 2012 langsam in die Brüche ging, hat sich H. nach eigener Aussage immer mehr zurückgezogen - auch von seinen Stiefkindern - und angefangen, in Internetchats aktiv zu werden. Dabei betont er, ging es ihm nicht um die Suche nach einer neuen Partnerin, sondern darum überhaupt wieder Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen.
Die Entscheidung sich mit Maria ins Ausland abzusetzen sei gefallen, nachdem ihre Mutter dem ungleichen Paar auf die Schliche gekommen war und im Begriff war die Polizei einzuschalten.
Dazu war es 2012 schon einmal gekommen, als H.s Frau von den Treffen mit der Jugendlichen erfahren hatte. Sie hatte ihn daraufhin angezeigt. Trotz des Ermittlungsverfahrens sollen sich er und Maria aber weiterhin heimlich getroffen oder mit einem Zweithandy miteinander geschrieben haben.
Jahrelang untergetaucht - Route führte über Südosteuropa nach Italien
Ihre Flucht führte die beiden nach Angaben der Staatsanwaltschaft zunächst mit dem Auto nach Polen. Als dort dann im Juli 2013 die Ermittler aufkreuzten, hatten sich H. und Maria bereits mit Fahrrädern und einer Campingausrüstung über halb Südosteuropa auf in Richtung Italien gemacht.
Wie auch schon zeitweise in seiner Jugend hielt H. sich dabei mit Gelegenheitsjobs über Wasser und beide schliefen im Freien in ihrem Zelt. Auch hierbei soll es weiterhin zu sexuellen Handlungen gekommen sein.
Keine sexuellen Übergriffe mehr ab dem 15. Lebenjahr
Als Maria dann 15 wurde, sei die Beziehung zwischen beiden spürbar abgekühlt und H. soll seitdem auch von ihr abgelassen haben. Trotzdem lebten sie noch drei weitere Jahre auf Sizilien zusammen in einer angemieteten Baracke. Die Anklage geht davon aus, dass H. die Jugendliche dabei bewusst von Telefon und Internet ferngehalten hat.
Erst nach ihrem 18. Geburtstag soll Maria dann heimlich online Kontakt zu ihrer Familie aufgenommen haben und hat sich dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von H. abgesetzt, um sich schließlich von Mailand aus von Bekannten zurück nach Freiburg bringen zu lassen.
Als H. bemerkt hatte, dass Maria weg war, habe er sie im ganzen Ort gesucht und dabei auch noch einmal die Nähe zu einem italienischen Pater gesucht, mit dem die beiden während ihres Aufenthalts ein enges Verhältnis gepflegt haben sollen. Der Nachfrage des Richters, warum H. trotz seiner schlechten Erfahrungen mit der Sekte seiner Mutter auf einmal so gläubig geworden sei, wich der Angeklagte dabei zu großen Teilen aus und sprach von mehreren "Wundern".
Schwebt dem Angeklagten noch immer eine Beziehung mit Maria vor Augen?
Sollte der Prozess am Ende mit einem Freispruch enden, sieht H. seine Zukunft wieder in der italienischen Pfarrgemeinde. An dieser Stelle richtete er dann sein Wort im Gerichtssaal direkt an Maria und bot ihr an, dass seine Arme immer für sie offen wären.
Der Mann war im September 2018 in Italien festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert worden. Er sitzt seitdem in verschiedenen Justizvollzugsanstalten in Untersuchungshaft. Maria war zuvor überraschend zu ihrer Mutter nach Freiburg zurückgekehrt und hatte bei der Polizei gegen ihren langjährigen Begleiter ausgesagt. Die Beamten hatten Bernhard H. mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Sie gingen den Angaben zufolge weltweit mehr als 1000 Hinweisen nach. Zudem gab es Aufrufe im Internet und in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY - ungelöst», jedoch ohne Erfolg.
Urteil ist frühestens Ende Juni zu erwarten
Für den Strafprozess sind acht Verhandlungstage geplant. Gehört werden sollen 15 Zeugen. Auch Maria H. wird selbst aussagen. Ein Urteil könnte es Ende Juni geben. Bei Kindesentzug drohen bis zu fünf Jahre Haft, in schweren Fällen bis zu zehn Jahre.
Zudem muss die Strafkammer überlegen, ob eine anschließende Sicherungsverwahrung möglich ist. Die formalen Voraussetzungen dafür sieht Staatsanwältin Nikola Novak als grundsätzlich gegeben an. Um das am Ende zu überprüfen, hat das Gericht einen psychiatrischen Gutachter beauftragt, der den gesamten Prozess begleiten wird.
Übersicht der Ereignisse
- Anfang 2011: Erster Chatkontakt zwischen dem der damals 12-jährigen Maria aus Freiburg und dem rund 40 Jahre älteren Mann aus Blomberg in NRW auf einer Internetplattform.
- Seit 2012: Regelmäßige Treffen in Freiburg, bei denen es auch zu sexuellen Handlungen kommt. Als H.s Ehefrau von der Beziehung zu dem Mädchen erfährt, bringt sie über die Polizei ein Ermittlungsverfahren in Gang, das aber zunächst im Sand verläuft.
- 4. Mai 2013: Die beiden beschließen offenbar aus Furcht vor weiteren Ermittlungen gegen H. gemeinsam unterzutauchen. Von ihnen fehlt zunächst jede Spur. In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 2013 meldet Marias Mutter das Mädchen als vermisst.
- 5. Juni 2013: Marias Mutter sendet eine Videobotschaft in der ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY - ungelöst». Doch Maria und ihr Begleiter melden sich nicht.
- 13. Juli 2013: In der polnischen Stadt Gorlice findet die Polizei das Auto des Mannes und seinen Schäferhund. Einwohner haben den Mann und das Mädchen zuvor gesehen. Doch das Paar bleibt verschwunden. Wie später herauskommt, hatten sie sich vorher mit Fahrrädern und einer Campingausrüstung über die Slowakei, Ungarn und Slowenien auf den Weg nach Italien gemacht. Auf Sizilien kommen sie nach vielen Zwischenstationen in einer angemieteten Baracke unter und leben dort gemeinsam.
- 31. August 2018: Die Polizei in Freiburg wird von Maria Mutter informiert: Maria, inzwischen 18 Jahre alt, ist freiwillig nach Hause zurückgekehrt.
- 5. September 2018: Die Polizei vernimmt Maria.
- 6. September 2018: Italienische Polizeibeamte nehmen Marias langjährigen Begleiter in der Küstenstadt Licata in Sizilien fest. Zur Auslieferung nach Deutschland kommt es Ende September.
- 27. Februar 2019: Die Staatsanwaltschaft Freiburg gibt bekannt, dass sie Anklage gegen den heute 58-Jährigen erhoben hat.
- 8. Mai 2019: Prozessbeginn vor dem Landgericht Freiburg.
(fw) & (la)