
Menschen und ihre Geschichte: Ibrahim aus Syrien
Menschen und ihre Geschichte - Wir von baden.fm mรถchten den Flรผchtlingen hier bei uns in Sรผdbaden nach ihren teils monatelangen Flucht vor Krieg, Verfolgung und extremer Armut ein Gesicht geben - und ihnen auch die Mรถglichkeit, ihre Erfahrungen mit der รffentlichkeit zu teilen. In den Unterkรผnften haben wir deshalb mit vielen der Menschen gesprochen, รผber die Bedingungen in ihren jeweiligen Heimatlรคndern, รผber ihre persรถnlichen Grรผnde, weshalb sie von dort geflohen sind, รผber ihre Erlebnisse wรคhrend der Flucht - aber auch รผber die Aufnahme hier in Deutschland und ihre Plรคne, Ziele und Trรคume.
Einer von ihnen ist der junge Student "Ibrahim" aus Syrien. Er war in der Nacht vor dem Interview frisch in die Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle in Freiburg auf dem Gelรคnde der Polizeihochschule gekommen. Obwohl er dort bereits frische Kleidung bekommen hatte und sich zum ersten Mal seit Monaten wieder frisch machen konnte, sieht man ihm die Strapazen seiner Reise deutlich an. Trotzdem kommt er bei unserem Besuch sofort aktiv auf uns zu und รผbersetzt in gebrochenem Englisch, was seine beiden Begleiter, die nur arabisch verstehen, unserem Reporter รผber die Flucht sagen mรถchten. Auch seine eigene Geschichte will er mit so vielen Menschen teilen, wie nur mรถglich: Weil viele ein falsches Bild von den Flรผchtlingen hรคtten und er das, was er gesehen und erlebt hat, nur so verarbeiten kรถnne. Nur eine groรe Bitte hat der hรถfliche junge Mann mit der verbogenen Brille: Weil er seine Familie im syrischen Bรผrgerkrieg zurรผcklassen musste, hat er Angst, dass sie verhaftet, gefoltert oder sogar getรถtet werden kรถnnte, falls in seiner Heimat jemand herausbekommt, dass er weggelaufen ist. Seinen richtigen Namen teilt er uns zwar mit, wir sollen ihn aber deshalb lieber "Ibrahim" nennen. In seiner Heimat ein gรคngiger Name, wie etwa in Deutschland Peter. Aus dem selben Grund willigen wir auch ein, das Foto, das er auf seinem Fuรmarsch durch die Minenfelder geschossen hat, nur mit unkenntlichen Gesichtern.
Was "Ibrahim" auf seinem Weg von Syrien nach Freiburg erlebt hat, das mรถchte er bei baden.fm selbst erzรคhlen:
Ich wollte nicht als Soldat sterben
Mein Name ist Ibrahim und ich stamme aus Syrien. Ich habe in Syrien Chemie studiert und als Chemiker gearbeitet. รber die Uni hatte ich versucht, die syrische Regierung davon zu รผberzeugen, dass ich meinen Master-Abschluss fertig machen darf. Aber die Regierung hat das abgelehnt und hatte vor mich zu verhaften, weil ich nicht in der Armee kรคmpfen wollte. Jeder Mann und inzwischen auch die ganz jungen werden dort in den Krieg geschickt. Aber ich weiร dass alle meine Freunde, die in der Armee gekรคmpft haben, erschossen wurden. Allein in meiner Heimatregion sind mehr als 15.000 Menschen bei den Gefechten ums Leben gekommen โ zumindest auf dem Papier, wahrscheinlich sind es noch viele mehr.

Unsere Hรคuser liegen in Trรผmmern
In Syrien ist das Leben sehr schlecht. Die Milizen machen Jagd auf die Menschen, fast jedes Haus ist zerstรถrt, auch meine Uni liegt in Trรผmmern. Fรผr meine Familie, die noch in Syrien lebt, ist die Lage extrem schwierig. Inzwischen haben wir keinen Strom mehr und auch kein Trinkwasser, weil auch die ganzen Leitungen durch den Bรผrgerkrieg zerstรถrt wurden. Die Regierung erlaubt uns aber auch nicht, einfach auszureisen.
Ich musste meine Familie zurรผcklassen
Ich dachte mir, ich bin ja noch jung und versuche es trotzdem, ich kann im Notfall ja um mein Leben rennen. Aber meine Mutter und mein Vater hรคtten bei der Flucht keine Chance gehabt. Ich habe die ganze Zeit versucht regelmรครig mit meiner Familie in Syrien Kontakt zu halten. Wir hatten frรผher eine Internetverbindung, aber heute ist das ziemlich schwierig. Ich habe richtig Angst um meine Familie, eben weil sie nur wenige Chance haben, in die Tรผrkei zu flรผchten. Es ist schrecklich, ich kann sie kaum noch erreichen, weil auch die Telefonnetze in Syrien alle zusammenbrechen. Ich versuche jedes Mal, wenn ich mit ihnen spreche, sie zu รผberreden, wegzulaufen. Aber meine Mutter ist schon sehr alt und mein Bruder noch sehr klein.

Wir haben alle geweint und gebetet
Drei Tage und Nรคchte lang bin ich mit Freunden zu Fuร durch halb Syrien รผber die Grenze in die Tรผrkei geflรผchtet. Die richtigen Grenzรผbergรคnge haben die Milizen vom Islamischen Staat schon lรคngst abgeriegelt. Vom Hafen in Izmir aus ging es dann mit den Schleuser-Booten รผber das Meer in Richtung Griechenland. Die eigentliche รberfahrt auf dem Boot hat vielleicht nur vier Stunden gedauert, aber eines der schlimmsten Dinge, die ich bisher erlebt habe. Ich hatte so eine Todesangst. Da waren so viele Familien mit kleinen Kindern auf diesen winzigen Booten und wir hatten einen wahnsinnigen Wellengang. Wir haben alle nur geweint und zu Gott gebetet, dass er uns beisteht. Schlimm war auรerdem diese Ungewissheit, ob die Polizei in Griechenland einen danach nicht sofort wieder zurรผckschickt. Ich hatte von anderen Freunden gehรถrt, die direkt wieder in die Tรผrkei mussten. Und die Regierung dort schickt viele von uns nach Syrien zurรผck, wo nur der Tod auf uns wartet. Ich bin deshalb auch am Hafen in Griechenland vor der Polizei davongerannt.
Gewalt auch durch die Polizei in Ungarn
Als ich spรคter nach Budapest gekommen bin, hatte mir ein Freund berichtet, dass dort noch Zรผge in Richtung Mรผnchen fahren. Ich bin deshalb natรผrlich so schnell ich konnte zum Bahnhof gerannt. Auf dem Schwarzmarkt wurden mir Zugtickets angeboten โ pro Person umgerechnet 125 Euro, das entspricht einem guten Monatsgehalt. Von meinen letzten Ersparnissen habe ich vier Karten fรผr mich und meine Freunde gekauft. Andere haben sogar das Doppelte zahlen mรผssen. Aber auch mit den Tickets ging am Bahnhof รผberhaupt nichts voran. Die Polizei hat uns nicht weiterfahren lassen und uns dort richtig zusammengepfercht. Wir hatten keine andere Wahl als drei Nรคchte dort auf den Bahnsteigen zu schlafen. Aber das war immer noch besser, als in der Umgebung. Denn abseits vom Bahnhof waren keine Journalisten und ohne Kameras sind die Polizisten dort auf die Flรผchtlinge losgegangen. Sie haben dort alle verprรผgelt, sogar die Kinder. Alle mussten mucksmรคuschen still bleiben. Und Freunde haben mir erzรคhlt, wer einmal drauรen war, durfte gar nicht mehr in das Lager am Bahnhof zurรผck. Wir haben uns deshalb dafรผr entschieden, direkt vor den Kameras der Journalistenteams zu schlafen.

Endlich in Freiburg angekommen
Hier in Freiburg ist die Situation jetzt sehr gut. Der letzte Monat war hingegen der schlimmste in meinem ganzen Leben. Ich habe so gut wie รผberhaupt nicht geschlafen und hatte bei meiner Flucht kaum etwas zu essen. So wie ich jetzt hier aufgenommen werde, komme ich mir im Vergleich dazu schon ganz dick vor. Hier in Deutschland habe ich auch wieder die Mรถglichkeit, zu erfahren wie es meiner Familie und meinen Freunden in Syrien geht. Ich glaube, hier kรถnnte ich vielleicht sogar mein Studium abschlieรen. Die Lage in Deutschland ist so viel besser als in den meisten anderen Lรคndern.
Weiter studieren und die Familie nachholen
Sobald ich aus der Erstaufnahmestelle entlassen werde, wรคre es mein grรถรter Wunsch, so schnell wie mรถglich die deutsche Sprache zu lernen und hier an der Universitรคt weiter meiner Forschung nachzugehen. Noch wichtiger wรคre es mir aber, meine Familie bei mir zu haben, denn in Syrien werden sie es schwer haben zu รผberleben.
