โ€” ยฉ Nake Batev - dpa

Menschen und ihre Geschichte: Ein Jugendlicher aus Afghanistan

account_circletoday 06. Oktober 2015
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Menschen und ihre Geschichte - Wir von baden.fm mรถchten den Flรผchtlingen hier bei uns in Sรผdbaden nach ihren teils monatelangen Flucht vor Krieg, Verfolgung und extremer Armut ein Gesicht geben - und ihnen auch die Mรถglichkeit, ihre Erfahrungen mit der ร–ffentlichkeit zu teilen. In den Unterkรผnften haben wir deshalb mit vielen der Menschen gesprochen, รผber die Bedingungen in ihren jeweiligen Heimatlรคndern, รผber ihre persรถnlichen Grรผnde, weshalb sie von dort geflohen sind, รผber ihre Erlebnisse wรคhrend der Flucht  - aber auch รผber die Aufnahme hier in Deutschland und ihre Plรคne, Ziele und Trรคume.

 

 

Eine sichere Flucht wรคre extrem teuer

Ich bin 17 Jahre alt und drei Monate unterwegs gewesen. Wir kommen aus Afghanistan. Die Flucht war voller Gefahren und die meisten, die weglaufen, sind in ihrer Heimat einfach vor unglaubliche Probleme gestellt. So ging es auch mir und deshalb bin ich mit meiner Familie hierhergekommen. Nur die wenigsten konnten sich die Flucht mit dem Flugzeug in die Tรผrkei leisten und selbst die haben dafรผr ein Vermรถgen zahlen mรผssen. Die meisten versuchen deshalb zu FuรŸ รผber die Grenze in den Iran und von dort aus in die Tรผrkei zu kommen โ€“ auch wenn die Polizei nachts Jagd auf die Leute macht. Da waren sogar Schรผsse gefallen. Wer da Kinder hat, fรผr den ist das kaum zu schaffen. AuรŸerdem ist es ein groรŸes Problem, dass alle Flรผchtlinge, die kaum Geld haben mit den sicheren Schiffen nach Europa zu reisen, trotzdem um die 500 Euro pro Person zahlen sollen. Nur um dann auf Boote verfrachtet zu werden, die nicht einmal seetauglich scheinen und aus denen dann viele รผber Bord ins Wasser fallen. Da gab es diesen Zwischenfall mit einem kleinen syrischen Jungen, so viele musste zusehen, wie er ins Meer fiel.

 โ€” ยฉ Nake Batev - dpa
Nake Batev - dpa

Die Armen leiden besonders unter dem Krieg

Es sind besonders die Armen, die auf diese Art in die europรคischen Lรคnder kommen. Aus so vielen verschiedenen Grรผnden, wie Gefechte und Kriege in ihrer Heimat oder Selbstmordattentate von Leuten, die einfach nicht mehr anders weiterwissen und den anderen damit alles zunichtemachen. Und dann gibt es noch den anderen Grund, dass viele Menschen wie ich auch zum Studieren herkommen. Es gibt dort รผberhaupt keine Mรถglichkeiten fรผr Leute, die ihr Wissen mehren wollen oder in ihrem eigenen Land einen hรถheren Bildungsabschluss anstreben. Ich mรถchte auch gerne etwas รผber meine Reise sagen: Ich war zuerst in die Tรผrkei gekommen, von dort nach Griechenland, weiter nach Mazedonien, Serbien und Ungarn โ€“ was ein ziemlich schlimmes Land war, ich habe noch immer Albtrรคume von meinen Erfahrungen dort. Danach kam ich nach ร–sterreich und bin schlieรŸlich in Deutschland gelandet.

 

Polizeigewalt in Ungarn

Tatsรคchlich versuchen es die meisten, รผber Ungarn einzureisen. Aber die ungarische Polizei, die lauert nur auf uns Flรผchtlinge an der Grenze. Aber sie verhalten sich nicht gut, auch da kam es zu Kรคmpfen. Ich wurde eingesperrt und mein kleiner Bruder, der vor ihnen davon rennen wollte, fiel zu Boden und hat sich รผbel im Gesicht verletzt. Aber sie haben keinen Arzt geholt oder ihn medizinisch versorgt. Eine halbe Stunde lang mussten wir ausharren, bis sie รผberhaupt erst einen Krankenwagen gerufen haben, der einfach nicht kam. Wir haben kein genieรŸbares Essen erhalten. Dabei habe ich mich einwandfrei verhalten, als ich vor den Beamten stand und er mir erklรคrte โ€žWir sind nicht dazu verpflichtet, freundlich zu Flรผchtlingen zu sein. Wir kรถnnen euch verprรผgeln oder mit euch machen, was wir wollen, und ihr kรถnnt nichts dagegen tunโ€œ. Ich wusste รผberhaupt nicht, was ich dazu sagen sollte und blieb stumm.

 โ€” ยฉ Koca Sulejmanovic - dpa
Koca Sulejmanovic - dpa

Angst auch aus Deutschland abgeschoben zu werden

Und das ist das groรŸe Problem, dass wir dort schon unsere Fingerabdrรผcke abgeben mussten, fรผr die ganzen Lรคnder, die uns auch einfach wieder abschieben, bevor wir nach ร–sterreich oder Deutschland kamen. Auch jetzt sind wir verunsichert, was mit uns in Zukunft passieren wird, auch, weil inzwischen zu viele Flรผchtlinge nach Deutschland kommen. Vielleicht werden wir auch hier abgeschoben, weil wir nicht nach Ungarn zurรผck wollen. Das war so ein furchtbares Land, das nur darauf gewartet hat, dass wir versuchen einen FuรŸ รผber die Grenze zu setzen. Ich gebe ganz offen zu, dass ich am liebsten nie wieder nach Ungarn zurรผck mรถchte. Ich will dort nicht hin. Und ich weiรŸ, dass es den meisten, die hierherkommen genauso geht. So wie sie jetzt hier stehen, mรถchte keiner gehen. Sie alle haben Albtrรคume von dort. Alle!

Entweder Geld oder Gewalt

Ich bin jetzt mit meiner Familie hier gelandet, wir sind zu siebt: Meine Brรผder und mein Papa und meine Mama. Mein kleiner Bruder ist auch krank. Ich bin zwar mit dem Boot gefahren, aber nicht mit dem Flugzeug und habe die meiste Strecke zu FuรŸ zurรผckgelegt. Ich hab eigentlich keine Ahnung, wie weit, aber es waren bestimmt um die 60 Stunden Laufen insgesamt. Dass ich meine Mutter mitgenommen habe, da gab es fรผr mich nie eine andere Option. Wann immer wir gemerkt haben, dass sie nicht mehr konnte, haben wir sie auf den Rรผcken genommen und getragen. Es war ziemlich schlimm, manchmal wurden wir bedroht und Fremde wollten unser Geld haben oder noch Schlimmeres. Eine Frau weiter hinten in der Gruppe haben sie vergewaltigt. Wir hatten einfach keine Wahl, wir mussten ihnen alles zahlen, was wir in unseren Taschen hatten. Wir mussten hierherkommen, denn wenn wir in unserem eigenen Land geblieben wรคren, dann wรคren wir alle gestorben. Das ist der Grund. Und in Europa kann man wieder wie ein Mensch leben und nicht wie ein Tier in unserer Heimat. Ich erzรคhle so viel Schlechtes รผber mein Heimatland, weil es dort so viele Verbrecher in der Regierung gibt, die dem eigenen Volk im Land รผberhaupt nichts Gutes tun.

 โ€” ยฉ Carsten Rehder - dpa
Carsten Rehder - dpa

Ich mรถchte den Armen in meiner Heimat etwas Gutes tun

Als erstes wรผrde ich hier jetzt gerne meine Bildung aufbessern. Wenn ich das geschafft habe, kann ich vielleicht eines Tages den Menschen aus meinem Land unter die Arme greifen. Denn momentan ist es so, dass die Armen dort wirklich extrem arm sind. Ich mรถchte ihnen helfen so gut ich nur kann. Aber dafรผr muss ich erstmal hier als Mensch einleben, lernen und auch etwas fรผr mich selbst erreichen. Wir wรผnschen uns sehr, dass uns die Leute hier etwas รผber sich beibringen. Schon jetzt geben uns manche Deutsche oder andere Nationalitรคten Unterricht, das ist sehr gut und dafรผr sind wir sehr dankbar. Nicht nur ich, sondern alle Leute, die hier sind.

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