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Menschen und ihre Geschichte: Ein Jugendlicher aus Afghanistan

Menschen und ihre Geschichte - Wir von baden.fm möchten den Flüchtlingen hier bei uns in Südbaden nach ihren teils monatelangen Flucht vor Krieg, Verfolgung und extremer Armut ein Gesicht geben - und ihnen auch die Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen. In den Unterkünften haben wir deshalb mit vielen der Menschen gesprochen, über die Bedingungen in ihren jeweiligen Heimatländern, über ihre persönlichen Gründe, weshalb sie von dort geflohen sind, über ihre Erlebnisse während der Flucht  - aber auch über die Aufnahme hier in Deutschland und ihre Pläne, Ziele und Träume.

 

 

Eine sichere Flucht wäre extrem teuer

Ich bin 17 Jahre alt und drei Monate unterwegs gewesen. Wir kommen aus Afghanistan. Die Flucht war voller Gefahren und die meisten, die weglaufen, sind in ihrer Heimat einfach vor unglaubliche Probleme gestellt. So ging es auch mir und deshalb bin ich mit meiner Familie hierhergekommen. Nur die wenigsten konnten sich die Flucht mit dem Flugzeug in die Türkei leisten und selbst die haben dafür ein Vermögen zahlen müssen. Die meisten versuchen deshalb zu Fuß über die Grenze in den Iran und von dort aus in die Türkei zu kommen – auch wenn die Polizei nachts Jagd auf die Leute macht. Da waren sogar Schüsse gefallen. Wer da Kinder hat, für den ist das kaum zu schaffen. Außerdem ist es ein großes Problem, dass alle Flüchtlinge, die kaum Geld haben mit den sicheren Schiffen nach Europa zu reisen, trotzdem um die 500 Euro pro Person zahlen sollen. Nur um dann auf Boote verfrachtet zu werden, die nicht einmal seetauglich scheinen und aus denen dann viele über Bord ins Wasser fallen. Da gab es diesen Zwischenfall mit einem kleinen syrischen Jungen, so viele musste zusehen, wie er ins Meer fiel.

© Nake Batev - dpa

Die Armen leiden besonders unter dem Krieg

Es sind besonders die Armen, die auf diese Art in die europäischen Länder kommen. Aus so vielen verschiedenen Gründen, wie Gefechte und Kriege in ihrer Heimat oder Selbstmordattentate von Leuten, die einfach nicht mehr anders weiterwissen und den anderen damit alles zunichtemachen. Und dann gibt es noch den anderen Grund, dass viele Menschen wie ich auch zum Studieren herkommen. Es gibt dort überhaupt keine Möglichkeiten für Leute, die ihr Wissen mehren wollen oder in ihrem eigenen Land einen höheren Bildungsabschluss anstreben. Ich möchte auch gerne etwas über meine Reise sagen: Ich war zuerst in die Türkei gekommen, von dort nach Griechenland, weiter nach Mazedonien, Serbien und Ungarn – was ein ziemlich schlimmes Land war, ich habe noch immer Albträume von meinen Erfahrungen dort. Danach kam ich nach Österreich und bin schließlich in Deutschland gelandet.

 

Polizeigewalt in Ungarn

Tatsächlich versuchen es die meisten, über Ungarn einzureisen. Aber die ungarische Polizei, die lauert nur auf uns Flüchtlinge an der Grenze. Aber sie verhalten sich nicht gut, auch da kam es zu Kämpfen. Ich wurde eingesperrt und mein kleiner Bruder, der vor ihnen davon rennen wollte, fiel zu Boden und hat sich übel im Gesicht verletzt. Aber sie haben keinen Arzt geholt oder ihn medizinisch versorgt. Eine halbe Stunde lang mussten wir ausharren, bis sie überhaupt erst einen Krankenwagen gerufen haben, der einfach nicht kam. Wir haben kein genießbares Essen erhalten. Dabei habe ich mich einwandfrei verhalten, als ich vor den Beamten stand und er mir erklärte „Wir sind nicht dazu verpflichtet, freundlich zu Flüchtlingen zu sein. Wir können euch verprügeln oder mit euch machen, was wir wollen, und ihr könnt nichts dagegen tun“. Ich wusste überhaupt nicht, was ich dazu sagen sollte und blieb stumm.

© Koca Sulejmanovic - dpa

Angst auch aus Deutschland abgeschoben zu werden

Und das ist das große Problem, dass wir dort schon unsere Fingerabdrücke abgeben mussten, für die ganzen Länder, die uns auch einfach wieder abschieben, bevor wir nach Österreich oder Deutschland kamen. Auch jetzt sind wir verunsichert, was mit uns in Zukunft passieren wird, auch, weil inzwischen zu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Vielleicht werden wir auch hier abgeschoben, weil wir nicht nach Ungarn zurück wollen. Das war so ein furchtbares Land, das nur darauf gewartet hat, dass wir versuchen einen Fuß über die Grenze zu setzen. Ich gebe ganz offen zu, dass ich am liebsten nie wieder nach Ungarn zurück möchte. Ich will dort nicht hin. Und ich weiß, dass es den meisten, die hierherkommen genauso geht. So wie sie jetzt hier stehen, möchte keiner gehen. Sie alle haben Albträume von dort. Alle!

Entweder Geld oder Gewalt

Ich bin jetzt mit meiner Familie hier gelandet, wir sind zu siebt: Meine Brüder und mein Papa und meine Mama. Mein kleiner Bruder ist auch krank. Ich bin zwar mit dem Boot gefahren, aber nicht mit dem Flugzeug und habe die meiste Strecke zu Fuß zurückgelegt. Ich hab eigentlich keine Ahnung, wie weit, aber es waren bestimmt um die 60 Stunden Laufen insgesamt. Dass ich meine Mutter mitgenommen habe, da gab es für mich nie eine andere Option. Wann immer wir gemerkt haben, dass sie nicht mehr konnte, haben wir sie auf den Rücken genommen und getragen. Es war ziemlich schlimm, manchmal wurden wir bedroht und Fremde wollten unser Geld haben oder noch Schlimmeres. Eine Frau weiter hinten in der Gruppe haben sie vergewaltigt. Wir hatten einfach keine Wahl, wir mussten ihnen alles zahlen, was wir in unseren Taschen hatten. Wir mussten hierherkommen, denn wenn wir in unserem eigenen Land geblieben wären, dann wären wir alle gestorben. Das ist der Grund. Und in Europa kann man wieder wie ein Mensch leben und nicht wie ein Tier in unserer Heimat. Ich erzähle so viel Schlechtes über mein Heimatland, weil es dort so viele Verbrecher in der Regierung gibt, die dem eigenen Volk im Land überhaupt nichts Gutes tun.

© Carsten Rehder - dpa

Ich möchte den Armen in meiner Heimat etwas Gutes tun

Als erstes würde ich hier jetzt gerne meine Bildung aufbessern. Wenn ich das geschafft habe, kann ich vielleicht eines Tages den Menschen aus meinem Land unter die Arme greifen. Denn momentan ist es so, dass die Armen dort wirklich extrem arm sind. Ich möchte ihnen helfen so gut ich nur kann. Aber dafür muss ich erstmal hier als Mensch einleben, lernen und auch etwas für mich selbst erreichen. Wir wünschen uns sehr, dass uns die Leute hier etwas über sich beibringen. Schon jetzt geben uns manche Deutsche oder andere Nationalitäten Unterricht, das ist sehr gut und dafür sind wir sehr dankbar. Nicht nur ich, sondern alle Leute, die hier sind.